Leserbrief von Dr. Thomas Sitte in der Zeitschrift für Palliativmedizin

Zum CME-Beitrag Kremeike K et al. Todeswünsche bei Palliativpatienten–Hintergründe und Handlungsempfehlungen.

Z Palliativmed 2019; 20: 323–335

Liebe Kollegen,

herzlichen Glückwunsch zu dieser diffe-renzierten, hilfreichen und relevantenÜbersicht, zu der ich gerne zwei Punkteergänzen möchte.

Zunächst haben wir 2015 eine umfassen-de Studie aus der SAPV zum Wunschnach Lebensverkürzung publiziert [1],die einen erfreulich gut suizidpräventi-ven Effekt der spezialisierten ambulan-ten Palliativversorgung nahelegt.

Deren Rücklauf war mit 86% der befrag-ten SAPV-Teams so hoch, dass man voneiner hohen Repräsentativität ausgehendarf. Bei 17772 bis zum Tod versorgtenPalliativpatienten wurde zwar 1147-malteils sehr konkret der Wunsch nach assis-tiertem Suizid oder Tötung auf Verlan-gen geäußert, jedoch keiner dieser Pa-tienten nahm sich das Leben wegen un-behandelbaren Leidens. Zudem kam mitlediglich 0,095% ein Suizid in dieserGruppe sehr viel seltener vor als in derGesamtbevölkerung. In der Gesamtbe-völkerung war der Anteil an Suiziden ca.11-mal höher (1,152%) im selben Zwei-Jahres-Zeitraum!

Zum Zweiten folgt aus dem geäußertenWunsch nach Beihilfe zur Selbsttötungoder Tötung auf Verlangen in der Regelein intensives Gespräch, dem man nichtausweichen, sondern es im Gegenteilproaktiv angehen sollte, wie die Autorenbetonen. Was nicht erwähnt wurde, sindmögliche Inhalte dieser Gespräche.

Ich selber habe dokumentiert–nur leiderohne gute Statistik oder wissenschaftli-che Grundlage–etliche hundert solcherGespräche geführt und bin auch der Fra-ge nach dem„Wie?“dabei nicht ausge-wichen. Denn dies ist oft die Kernfrage,die Not verzweifelter Patienten zu den-ken, sie könnten sich selber nicht mehrdas Leben nehmen.

Für alle diese Patienten kann ich in An-spruch nehmen, dass sich danach keinerdieser Patienten das Leben nahm, auchnicht auf eine ihm nun bekannte Weise.Es ist wichtig, dies bei solchen Gesprä-chen im Kopf zu haben. Das Wissen umdie Möglichkeit von verfügbaren Suizid-methoden scheint vor dem Suizid zuschützen und die Patienten neuen Mutzum Weiterleben schöpfen zu lassen.

Dass diese Gespräche auch mit dem ak-tuellen §217 StGB weiterhin rechtskon-form möglich sind, steht strafrechtlichaußer Zweifel [2].

Mit kollegialen Grüßen
Thomas Sitte


Literatur:

[1] Sitte T, Gronwald B, Gottschling S. Lei-denslinderung und Symptomkontrolle.Eine Umfrage unter Palliativmedizinernzum ärztlich assistierten Suizid und zur Tö-tung auf Verlangen. Deutsches Ärzteblatt2015; 112: 1614–1616. Online: www.aerzteblatt.de/archiv/172346/Pallia-tive-Versorgung-Leidenslinderung-und-Symptomkontrolle

[2] Schütz C, Sitte T. Palliativversorgung oderLebensverkürzung. Rechtsmedizin 2018;28: 104–111. doi.org/10.1007/s00194-018-0233-y

Dr. Thomas Sitte

Deutsche PalliativStiftung
Am Bahnhof 2

36037 Fulda